Die Hektik des Alltags bestimmt unser Leben. Es ist jedes Jahr dasselbe: Heiligabend fällt auf den 24. Dezember und kommt doch für viele Menschen plötzlich. Schließlich ist der Monat Dezember mit zahlreichen Verpflichtungen gefüllt. Da stehen Abschlüsse bevor, und jeder möchte vor Ende des Jahres vieles erledigen. Für die Auswahl der richtigen Geschenke bleibt häufig wenig Zeit. So passiert es in all dem vorweihnachtlichen Stress schon mal, dass wir daneben greifen. Das kann fatale Folgen haben.
Der so schön verpackte Schnellkochtopf für die Partnerin wird zum Fauxpas, wenn die Beschenkte vermutet, dass mit der Gabe die Erwartung verbunden ist, der Schenkende wolle künftig das Essen pünktlich serviert bekommen. Auch Seife und Waschlotionen können zu Missverständnissen mit unangenehmen Folgen führen. Ein teures Parfüm übt nicht zwingend Kritik am Körpergeruch des Beschenkten.
Geschenke, die es zu vermeiden gilt, finden sich in jedem Benimmbuch: Messer, so heißt es, zerschneiden die Freundschaft, und Kakteen sollten nur diejenigen als Präsent bekommen, die selbst einen stachligen Charakter haben oder häufig vergessen, die Blumen zu gießen. Hochwertige Pelzmäntel, Diamantringe oder wertvolle Perlenketten hingegen sind kein Garant für liebevolle Beziehungen. Großzügigkeit hängt nicht vom Geldbeutel ab. Geschenke verlangen Einfühlungsvermögen und Sensibilität.
Worte und wertvolle Gaben
Aber, worum geht es uns eigentlich beim Schenken, und was symbolisieren die kleinen und großen Gaben? Und warum spielt besonders zu Weihnachten das Schenken eine so große Rolle? Im Christentum haben Geschenke zur Weihnachtszeit eine große Bedeutung. Das Lukasevangelium erzählt, dass es Hirten waren, die der Mutter Maria die Worte überbrachten: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens“. „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen“, so die Bibel. Erst später kamen die Heiligen Drei Könige hinzu und überreichten Gold, Weihrauch und Myrrhe. Zu den ersten Geschenken der Weihnachtsgeschichte gehörten also Worte und wertvolle Gaben.
Bis heute hat die Weihnachtsgeschichte einen besonderen Zauber, weil sie auch vom Schenken handelt. Sie sagt viel über den Wert von Präsenten aus. Heutzutage wollen wir oft den hohen materiellen Ansprüchen des Schenkens und Beschenktwerdens entsprechen. So stürzen wir noch kurz vor dem Fest in die Betriebsamkeit der Einkaufszentren und Weihnachtsmärkte.
Die oft getroffene Vereinbarung „Wir schenken uns dieses Jahr nichts“ scheint dafür keine geeignete Gegenlösung. Häufig treffen sich dann genau diejenigen bei der Präsente-Jagd wieder, die zuvor einen solchen Kontrakt geschlossen haben. Im Ergebnis kommt’s dann zum SOS-Geschenk – wobei die Abkürzung für Socken, Oberhemd und Schlips steht.
Bleibt noch die Auswahl unter zahlreichen Gutscheinen. Diese gehören laut Statistik des Einzelhandelsverbands zu den beliebtesten Geschenkformen in Deutschland. Ein weites Feld bieten Drogerie-, Friseur- und Wertschecks für Hotels oder Wellnessanbieter. Auch Kino-, Restaurant- oder Einkaufsgutscheine für Bücher und Elektronikgeschäfte sind bei der Geschenkauswahl beliebt.
Allen gemein ist der Ausweis eines bestimmten Geldbetrags, von dem der Beschenkte eigentlich nicht erfahren sollte. Er könnte Rückschlüsse auf den Wert seiner Person ziehen. Bei solchen Einkaufsgutscheinen ist das schwer vermeidbar. Doch ist es nicht für Geber und Nehmer sowieso schöner zum Weihnachtsfest auch etwas in Händen zu halten, um es bewundern und bestaunen zu können?
Ein Ausweg aus der Ausgewogenheit
„Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft“, sagt der Volksmund. Aber auch große Geschenke können Freude bereiten. Gerade, wenn – wie zu Weihnachten – das gegenseitige Beschenken im Mittelpunkt steht. Oft kommt es dabei auf Ausgewogenheit an. Schließlich möchte niemand mit einem winzigen Präsent einem großen Paket gegenüberstehen. Es sei denn, es handelt sich um einen Brillantring. Einen Ausweg aus dieser Misere ist die Handarbeit, das Selbstgebastelte. Bibliotheken und Buchhandlungen bieten eine Menge Literatur zu diesem Thema. Das Angebot reicht vom Makramee bis hin zu selbst gemachten Pralinen.
Doch was ist wirklich wichtig für den, der gibt, und den, der erhält? Es heißt doch so oft: Schenken macht Freude. Und dieser Satz ist doppeldeutig zu verstehen. Was für den gilt, der gibt, wirkt – wenn es gelingt – auch für den, der nimmt. Nur ein gelungener Umgang mit dem Thema Schenken führt zum erwünschten Erfolg auf beiden Seiten.
Aber, wie soll das richtige Geschenk nun aussehen, und welche Bedeutung hat es? Schließlich steht hinter jedem Austausch auch das Bedürfnis nach Anerkennung. Diese kann in Worten, in Taten, aber auch durch Präsente geschehen. Im Mittelpunkt steht die Wertschätzung des Gegenübers und die Aufmerksamkeit für den Beschenkten.
Dies findet nicht nur durch einfache Worte und den Austausch von materiellen Dingen statt. Wichtig ist, was gesagt wird – und wie, und was geschenkt wird – und wie dies übergeben wird. Wer den Beschenkten gut kennt und ihn genau beobachtet, kann leichter einen Treffer landen.
Wer kleine Kinder hat, kann davon viel erzählen. Sie machen uns oft auf Dinge aufmerksam, die wir Erwachsenen nicht mehr wahrnehmen. Meine kleine Tochter brachte mich zum Staunen als sie sagte: „Papa, du wünscht dir doch immer einen Kugelschreiber?“ Wie kommt sie nur darauf, fragte ich mich. Nach kurzem Nachdenken lag die Antwort nah. Sie hatte beobachtet, wie häufig ich mein Schreibgerät suche. Als sie mir einen Kugelschreiber schenkte, ging mir das Herz auf.
Kreativität und Zeit
Für Kinder sind Weihnachten, Geburtstag und andere Geschenktermine Höhepunkte im Jahresverlauf und in ihrem Leben. Vielleicht ist Weihnachten auch deshalb für sie so ein so großes Fest, weil sie spüren, wie die Erwachsenen plötzlich alles mit Kinderaugen sehen und sich an ihre eigene Kindheit erinnern.
Schenken ist Ausdruck von Nächstenliebe, heißt es. Und gerade zu Weihnachten sind die Erwartungen an unsere Mitmenschen hoch. Das kann auch zu Enttäuschung führen, denn das Bedürfnis nach Liebe und Zuneigung ist häufig in der Vorweihnachtszeit sehr groß. Sich Zeit für die passende Geschenkauswahl zu nehmen, kann eine gute Lösung sein. Selbstgemachtes ist unersetzbar, und was früher bestickte Tischdecken oder umhäkelte Taschentücher waren, sind heute selbst entworfene Kalender oder das eigens verfasste Buch. Beim Fertigen dieser Artikel widmen sich Schenker mit Inbrunst dem Beschenkten. Sie geben das Wertvollste, was Menschen besitzen – Kreativität und Zeit.
Die schönsten Geschenke sind häufig die, die wir nicht erwarten, sagt man. Das kann der Besuch eines guten Freunds oder ein plötzlich hereinflatternder Liebesbrief sein. Dinge, die unser Herz erwärmen. Jeder Zweite in Deutschland möchte vor Weihnachten nicht gefragt werden, was für ihn unterm Weihnachtsbaum liegen soll.
Vielleicht sollten wir deshalb unsere Erwartungen an Weihnachten und die Geschenke niedriger halten. Das ist ein Trick, mit den Ansprüchen umzugehen. Schließlich kann derjenige, der nichts erwartet, auch nicht enttäuscht werden. Wem das zu streng ist, dem bietet das Formulieren eines Wunschzettels einen Ausweg. Dieser ist vor allem bei Kindern sehr beliebt. Auf diese Weise wird die Vorfreude auch gleich zur schönsten Freude.
Aber, welche Geschenke sprechen uns wirklich an? Sind es die Dinge, die wir erwarten oder sind es die wirklichen Überraschungen? Wichtig für viele ist zunächst einmal die Verpackung. Auch sie ist etwas Persönliches, und sie zögert die Spannung hinaus.
Eine schöne Verpackung allein kann aber sicherlich nicht alles sein. Hinter dem Anspruch, genau das Richtige für den anderen zu finden, sollte mehr liegen. Hilfreich ist dabei die Antwort auf die Frage, was wir uns als Geber eigentlich selber wünschen. Wer die Ansprüche dabei an sich selbst reduziert, ist bestimmt kein guter Schenker. In dem, was wir geben, liegt schließlich immer auch ein Teil von uns selbst. Eine wichtige Rolle spielt auch der Moment der Übergabe. Das Überbringen der Geschenke zu Weihnachten ist und bleibt ein wichtiger Vorgang. Besonders für Kinder spielen Weihnachtsmann und Christkind dabei eine wichtige Rolle. Sie sind die Gabenbringer und stehen in dem ein oder anderen Fall auch für einen religiösen Geschenkvorgang. Es wird so getan, als ob eine himmlische Macht die Dinge beschert. Die Geschenke liegen dann meist schön eingepackt und hübsch arrangiert unter dem Tannenbaum. Im Idealfall bleiben die tatsächlichen Spender anonym oder werden nur schriftlich oder mündlich angegeben. Auch so kann das richtige Geschenk gelingen.
Aufmerksamkeit und Wertschätzung
Natürlich macht es uns glücklich, wenn unsere Auswahl bei unserem Gegenüber ankommt und ihm Freude bereitet. Es bewirkt einen seelischen Zustand, der sich durch Ausgeglichenheit, Selbsterkenntnis und Achtsamkeit einstellt. Und häufig liegt die Erfüllung dieses Zustandes in tiefer Zufriedenheit, die sich in Dankbarkeit ausdrückt.
Wird das Schenken hingegen zur lästigen Verpflichtung, kann sich genau das Gegenteil einstellen. Die Annahme von Geschenken verpflichtet in vielen Kulturen zur Gegenleistung. Die Erwartung an einen schlichten Austausch gilt es besonders bei den uns nahestehenden Menschen zu vermeiden. Ein einfaches Rezept gibt es dagegen leider nicht. Schließlich ist es bei der Erwartung einer Gegenleistung egal, ob unsere Präsente zum Fest groß oder klein ausfallen – ob sie teuer oder preiswert sind. Und vielleicht ist es auch unwichtig, ob sie bestellt oder überraschend eintreffen.
Die Weihnachtsgeschichte erzählt davon, dass Geschenke sowohl aus Worten wie auch aus materiellen Dingen bestehen können. Ihre Wertigkeit wird gleichermaßen anerkannt. Wobei das eigentliche Geschenk das Fest selbst ist. Aufmerksamkeit und Wertschätzung haben dabei die größte Bedeutung. Wem es gelingt, diese für die Beschenkten spürbar zu machen, hat bereits das Passende gefunden.
Weihnachten ist das Fest der Liebe, und das bedeutet, es ist einzig und allein wichtig, aus welcher Perspektive wir die Dinge betrachten. Vollen Kaufhäusern und Märkten können wir dann ganz gelassen gegenüberstehen und der Hektik Einhalt gebieten. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was uns an dem anderen wirklich wertvoll erscheint – wofür wir uns Zeit nehmen und was wir beobachten. Ganz plötzlich fällt dann auch die Auswahl des richtigen Präsents zu Weihnachten leichter. Jürgen M. Edelmann
Dieser Artikel erschien in der Weihnachtsausgabe der Berliner Zeitung vom 27.11.2015
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